Montag, 7. März 2011

DER ZAUBER EINES BRIEFES

Ich liebe Briefe. Sie kommen stets aus der Vergangenheit und erzählen doch so viel über den Menschen, der sie geschrieben hat. Wenn ich einen Brief schreibe, nehme ich Papier zur Hand und tauche für fünf bis neunzig Minuten ein in das geschriebene Wort und schreibe alles nieder, was mir im Kopf herum schwirrt. Ob es nun schöne oder traurige, fröhliche oder verzweifelte Briefe sind: In jedem von ihnen steckt ein Stück von mir selbst.
Jemand, den ich sehr schätzte, erklärte mir einmal, dass E-Mails oder Facebook oder irgendwas anderes niemals Briefe werden ersetzen können. Und ich hoffe, er hatte Recht.
Es ist unbeschreiblich schön, ein Stück Papier in der Hand zu halten, das von Hand beschrieben wurde und in welchem Leben steckt. Der Verfasser hat sich persönlich an den Empfänger gewandt und nieder geschrieben, was ihm auf der Seele brennt. Vielleicht riecht der Brief sogar noch nach dem Absender oder irgendwo sind Fingerabdrücke, getrocknete Tränen oder auch ein kleiner Riss: All das macht einen Brief so einzigartig. Jeden Brief gibt es nur einmal auf dieser Welt. Er kommt von jemandem Bestimmten und geht an jemanden Bestimmten, im Gepäck Glückwünsche, Versprechungen, Gedanken,Wünsche, Ängste und Vermutungen.
"Wenn wir wüssten, wie dem Empfänger zumute ist, Elvira, wo würde noch ein Brief geschrieben? Das macht den Zauber eines Briefes: Er ist ein Wagnis..."  Max Frisch - Santa Cruz
Ohja, er ist ein Wagnis. Ein Wagnis, das ich jederzeit wieder eingehen werde und von dem ich inständig hoffe, dass es auch andere weiterhin eingehen werden.
Es gibt soviel, was ich gerne sagen würde: Manchmal, wenn der Augenblick aber gekommen ist, purzeln alle Wörter vollkommen falsch aus meinem Mund. Genau dann ist ein Brief die perfekte Lösung.
Briefe sind gepurzelte Wörter, die sich nach einer Weile einfach selbst anordnen. Beinahe wie Magie vermag es ein Brief, Menschen verständlich zu machen und er hilft ihnen dabei, sich zu äußern, wenn sie kein Wort über die Lippen bringen. Auf dem Papier schreiben sie dann nieder, was sie los werden möchten und hören so lange nicht auf, bis die Quintessenz begreiflich gemacht wurde.
Es kommt vor, dass ich Seiten über Seiten schreibe und dennoch gibt es keine Inflation: Aus jeder Zeile trieft die Sehnsucht, die sich erkennbar macht durch Unterstreichungen, Großbuchstaben und neu erfundene Wortkonstrukte. Während ich einen Brief schreibe, bin ich mit den Gedanken unentwegt beim Empfänger, offenbare mich selbst und bekunde zwischen den Zeilen immerzu mein vollstes Vertrauen.
Wie es wohl dem Empfänger dabei geht? Diese Frage brennt in mir und treibt mich dazu an, jeden angefangenen Brief auch zu vollenden.

" I C H   S C H R E I B  E   D I  R   E I  N E N   L A  N G E N   B R I  E F ,   
 W E I L   I C H   F Ü R   E I N E N   K U R Z E N   K E I N E    Z  E I T   H A B E . "