Sonntag, 7. November 2010

GEDICHTE SIND SO WUNDERSCHÖN.

Christian Morgenstern
BEGEGNUNG

Wir saßen an zwei Tischen - wo? - im All ...
Was Schenke, Stadt, Land, Stern - was tut´s dazu!
Wir saßen irgendwo im Reich des Lebens ...
Wir saßen an zwei Tischen, hier und dort.

Und meine Seele brannte: Fremdes Mädchen,
wenn ich in deine Augen dichten dürfte -
wenn dieser königliche Mund mich lohnte -
und diese königliche Hand mich krönte -!

Und deine Seele brannte: Fremder Jüngling,
wer bist du, dass du mich so tief erregtest -
dass ich die Knie dir umfassen möchte -
und sagen nichts als: Liebster, Liebster, Liebster -!

Und unsre Seelen schlugen fast zusammen.
Doch jeder blieb an seinem starren Tisch -
und stand zuletzt mit denen um ihn auf -
und ging hinaus - und sahn uns nimmermehr.

Ja, ich bin schon wieder im Gedichterausch. Der letzte Post war... französisch und ohne Kommentar meinerseits. Ich gebe zu, eigentlich wollte ich ihn kommentieren, doch fehlte mir die Zeit. Es fehlt einem so oft an Zeit... Doch darüber blogge ich heute nicht, vielleicht ein anderes Mal. Heute will ich wieder ein wenig interpretieren und bewerten, wie beim vorletzten Post. Kurios, auch dort war es ein Gedicht von Christian Morgenstern, welchem ich meine Aufmerksamkeit schenkte und welches ich... liebte. Ja, ich würde wirklich sagen, dass ich auch dieses Gedicht liebe. Es ist einfach perfekt.
Abgesehen davon, dass die Sprache wunderbar ist und die Wortwahl genial, werden auch sprachliche Mittel so erfrischend schön eingesetzt. Die zweite und die dritte Strophe weisen so viele Parallelen auf, dazu dieses Bild von der brennenden Seele! Ich schrieb vorher, ich wolle das hier ein bisschen interpretieren, doch will ich euch diesen Genuss nicht nehmen, denke ich. Ich für meinen Teil genieße dieses Gedicht einfach nur und will es deshalb doch nicht groß theoretisieren. Ist die erste Strophe nicht fantastisch? "Wir saßen irgendwo im Reich des Lebens." Hach, alleine die erste Strophe könnte ich mir hundertmal durchlesen. Dann wie schon erwähnt diese zwei wunderbaren  nächsten Strophen und dann - das herzzerreißende Ende. Ich weiß, ich schreibe heute ein wenig pathetisch, doch ich meine es auch so. Herzzerreißend, das ist es. Die Menschen, die nichts wollen, als sich kennen zu lernen und sich zu lieben, stehen einfach so mit der Gruppe, mit der sie gekommen sind, auf und gehen - ohne einander angesprochen zu haben. Traurig  - aber wahr. Ja, ich denke, deshalb ist es so herzzerreißend: Weil es wahr ist. Weil es wirklich vorkommt. Hier ist nichts aus den Fingern gezogen oder in irgendeinem romantsichen Kopf entsprungen, hier wird ein Stückchen Realität in wunderbarste Sprache gepackt.
Ich würde Christian Morgenstern wirklich gerne dafür danken: Schon allein für dieses Gedicht, obwohl er noch so viel wietere schöne geschrieben hat! Aber allein, weil dieses Gedicht exakt ausdrückt, was ich (wie sich der aufmerksame Leser wohl denken kann), erst vor kurzem gespürt habe, muss ich ihm danken.
Also: Herr Morgenstern?

I H R   G E D I C H T   I S T  M E I N  A U G E N S T  E R N  .